Die folgenden Texte verwenden den Genderstern, um intergeschlechtliche, transgeschlechtliche und nichtbinäre Menschen zu inkludieren. Der Genderstern wird vom Screenreader unter Umständen als ‚Pause‘, ‚Stern‘, ‚Sternchen‘ oder ‚Asterisk‘ vorgelesen, manchmal auch gar nicht, was den Effekt erzeugt, dass nur die weibliche Form ausgesprochen wird.

Gesammelte Geschichten

#12

Meine Tante war nicht nur die erste Frau, sondern tatsächlich überhaupt die allererste, die studiert hat. Sie wurde 1937 im Iran (in Teheran) geboren und war das Älteste von sechs Kindern. Ihr Traum war es, Medizin zu studieren. Nicht nur, dass sie ihren Traum verwirklicht hat, sondern ihr Vater erlaubte es ihr damals sogar, in einer anderen Stadt im Süden des Irans, Shiraz, knapp 1000 km von Teheran entfernt, zu studieren. Sie startete ihr Studium Ende der 50er Jahre und war bis zu ihrem frühen Tod mit 44 Jahren eine Inspiration für alle Frauen und Männer der Familie. Sie hat gezeigt, dass wir alles schaffen können, dass zu damaliger Zeit, als noch in Europa das Studieren fast nur Männern vorbehalten war, im Iran, eine Frau ihren akademischen Traum verwirklichen konnte.

#10

Meine Mutter, Jg. 1921, war die erste Frau in meiner Familie, die studierte. Unter schwierigsten Kriegsbedingungen studierte sie ab Herbst 1940 Deutsch, Geschichte und Geographie an der Universität Wien. Auch ein Bombenalarm hielt sie nicht von einer schriftlichen Prüfung ab, die sie beim Gang in den Schutzkeller hätte wiederholen müssen. Im Februar 1945 legte sie die Lehramtsprüfung ab. Schon ab Herbst 1944 unterrichtete sie als a.o. Hilfslehrerin. Als junge Lehrerin und Mutter war sie Diskriminierungen ausgesetzt und meinte uns Kindern gegenüber, im nächsten Leben wolle sie nur noch als Mann auf die Welt kommen, weil Männer es viel leichter haben. Im März 1945 heiratete sie meinen – mit einer schweren Gesichtsverletzung aus dem Krieg zurückgekehrten – Vater. Mein Vater war in seiner Familie auch der erste gewesen, der studiert hatte. Der Staat überreichte als Hochzeitsgeschenk Hitlers „Mein Kampf“. An ein Überleben glaubte sie damals nicht mehr. Zwischen 1946 und 1960 kamen ihre 6 Kinder auf die Welt. Sie hatte 6 Wochen Mutterschutz, danach wieder Unterricht. Zum Stillen radelte sie nach Hause. Bis 1958 unterrichtete sie noch als Vertragslehrerin. Danach war sie bis 1966 nicht mehr berufstätig. In den 1960-iger Jahren herrschte Mangel an akademisch ausgebildetem Lehrpersonal und sie wurde gebeten, wieder zu unterrichten. 1966 nahm sie ihre Lehrtätigkeit wieder auf und konnte ab 1972 auch den Titel „Magister der Philosophie“ führen. 1978 erhielt sie den Berufstitel „Oberstudienrat“. Sie war eine Pionierin in ihrem Beruf und in der Kunst, Beruf und Familie unter schwierigen Bedingungen zu vereinbaren. Mit 60 trat sie in den Ruhestand. Sie wurde in Ehren verabschiedet. 2007 ist sie verstorben. Ihre 5 Kinder und 8 Enkel*innen haben ein Studium abgeschlossen. Meine Mutter war für mich ein prägendes Vorbild für mein langjähriges berufliches Engagement gegen Diskriminierung und für Gleichbehandlung, Frauenförderung, Gender Mainstreaming und Gender Budgeting. 

#8

Meine Schwester und ich waren die ersten Frauen, die in unserer Familie studiert hatten. Meine Oma mütterlicherseits kam aus einer Bäckerei, mein Großvater von einem Bauernhof. Meine Mutter war ein Einzelkind, hatte Matura, aber danach war klar, dass sie in ein Büro arbeiten gehen würde, Uni war kein Thema. Mein Vater kam aus einer Tischlerfamilie, zum Glück übernahm sein älterer Bruder die Tischlerei und mein Vater machte zunächst die Ausbildung zum Berufsschullehrer. Nach Abschluss dieser Ausbildung arbeitet er jedoch nur sehr kurz als Lehrer und beschloss dann, auf die Montanuni in Leoben zu gehen. Finanzielle Unterstützung konnte er von zu Hause nicht erwarten, er finanzierte sich einen Großteil des Studiums selbst mit Nebenjobs und Sommerjobs oder über Stipendien, schaffte es aber zu damaliger Zeit schon (Mitte der 60er Jahre) 1 Jahr in den USA zu studieren. Es war nie eine Frage, dass meine Geschwister und ich studieren dürfen, wenn wir wollen und wir waren auch frei in unserer Wahl. Allerdings hat mein Vater mich während der Jahre des Oberstufengymnasiums immer wieder dazu gedrängt, doch Lehrerin zu werden. Allein schon, weil er dazu drängte, kam das nicht in die engere Wahl. Zu dem Zeitpunkt war es mir nicht so bewusst, aber es ist ein Privileg, eine freie Studienwahl zu haben und auch von den Eltern finanziell unterstützt zu werden. Mein Ziel war immer, im Ausland zu arbeiten oder zumindest viel beruflich unterwegs zu sein und auch wenn es mir nach meinem Studium nur für ein paar Jahre gelungen ist, so habe ich mein Studium selbst öfter für mehrmonatige bzw. mehrsemestrige Auslandspraktika unterbrochen und auch für meine Diplomarbeit mehrere Monate in Bolivien verbracht. Für mich bedeutete das Studium daher die Freiheit, neue berufliche Erfahrungen mit der Erfahrung neuer Kulturen zu verbinden, eine Freiheit, die es nachher in dieser Form nicht mehr für mich gab.

#6

Soweit ich das zurückverfolgen kann, war eine Cousine meiner Oma väterlicherseits die erste Frau in meiner Familie, die studiert hat. Diese Cousine arbeitete nach dem Studium als Ärztin, doch sie wurde nach ihrer Eheschließung automatisch gekündigt. Das war damals scheinbar so in Wien – ähnlich wie beim Lehrerinnenzölibat galten Beruf und Ehe für Frauen als unvereinbar. Auch meine Urgroßeltern erlebten das: meine Urgroßmutter musste nach der Heirat ihren Lehrerinnenberuf aufgeben. Zurück zur Cousine meiner Oma: Diese musste mit ihrem jüdischen Mann vor Beginn der Shoah fliehen. Über Umwege kam sie in die USA, wurde dort Gynäkologin und war sogar in der Krebsforschung in Berkeley tätig. Man findet online noch wissenschaftliche Artikel von ihr aus den 70er-Jahren. Meine Oma war jünger als diese Cousine und hatte einen Vater und Bruder, die ebenfalls Ärzte waren. So begann auch sie kurz nach dem 2. Weltkrieg ihr Medizinstudium. Obwohl sie bessere Noten als ihr Bruder hatte, schlug er ihr vor, vielleicht doch medizinisch-technische Assistentin zu werden. Doch sie wurde Allgemeinärztin und arbeitete ihr Leben lang Vollzeit im Krankenhaus – auch mit drei Kindern. Ich weiß, dass sie sich in ihrem Beruf leider nie richtig kompetent fühlte und viele Selbstzweifel hatte. Klassischer Fall des Imposter-Syndroms? Ihr Mann, also mein Opa, hat nicht studiert und war übrigens Bibliothekar an der Universität Wien. Dass meine Oma nicht jemanden „ihresgleichen“ geheiratet hat (einen Apotheker zum Beispiel), war immer ein Konfliktthema zwischen meinem Opa und seiner Schwiegerfamilie. Manche Leute dachten auch irrtümlicherweise, dass mein Opa der Arzt sei und nicht meine Oma, denn eine „Frau Doktor“ war damals eher die „Frau des Doktors“. 

#4

Die erste Frau, die in meiner Familie studiert hat, war meine Tante. Meine Großmutter wünschte sich, dass ihre beiden Töchter und ihre Enkeltochter studieren, weil sie selbst durch den Kriegsbeginn und die geringen Ressourcen ihrer sozialen Herkunft, nicht studieren konnte. Als ich schon lange mit dem Studium fertig war, fragte sie mich, wie es sich anfühlt in einem Hörsaal zu sitzen und einen Tag an der Uni zu verbringen? Da wurde mir bewusster, woher vielleicht meine eigene Sehnsucht kam an der Uni zu studieren und zu arbeiten. Das Gefühl eines Entitlements entwickelte sich sehr aus queeren Uni-Gruppen, ermutigenden Lehrenden und feministischen Theorien. Aber es brauchte auch viele andere Ressourcen: meine Mutter, die mich in der Familie unterstütze Philosophie zu studieren. Mein Vater, für den es selbstverständlich war, dass ich mein Studium auch schaffen würde. Meine Tanten, die mir gezeigt haben wie viele Lehrveranstaltungen man sich einteilt und in welche Cafés man geht, um zu lernen. 

#3

Ich war die erste Frau in meiner Familie, die studiert hat. Allerdings war das nie ein großes Thema – und es ist mir tatsächlich erst bewusst geworden, als ich wegen dieses Projekts darüber nachgedacht habe. Meine Mutter hätte wahrscheinlich auch studieren können, wenn sie das gewollt hätte – ihre beiden Brüder haben studiert, wobei nur einer davon sein Studium auch abgeschlossen hat. Laut ihren Erzählungen war das wichtigste Thema für meine Großeltern, dass sie mit ihrer Ausbildung einen „sicheren Job“ bekommt. Sie wollte eigentlich Volksschullehrerin werden, was ihr aber in Hinblick auf die Sicherheit dieses Jobs von meinen Großeltern ausgeredet wurde, weil es damals scheinbar sehr viele Volksschullehrer*innen gab – so hat sie nach ihrer Matura noch eine Handelsakademie besucht und dann tatsächlich bis zu ihrer Pensionierung einen „sicheren Job“ in einer Bank gehabt. Ich glaube, sie wäre eine tolle Volksschullehrerin geworden. Ob sie ein Studium je in Betracht gezogen hätte oder warum das für sie nicht in Frage gekommen ist, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht – muss ich sie mal fragen!

Dass ich nach der Matura dann studieren wollte, war eben wirklich gar kein Thema. Meine Mutter – und auch alle anderen Verwandten – fanden es gut und haben es ganz selbstverständlich unterstützt. Auch meine Schwester hat dann kurz nach mir studiert. Das Studieren nach Abschluss der Schule hat sich eigentlich wie „der logische nächste Schritt“ angefühlt. Ich habe in den frühen 2000ern studiert und mich während meines Studiums immer sehr wohl gefühlt – wobei ich ein Studium gewählt habe, in dem der Frauenanteil wirklich extrem hoch war, Männer waren am Zentrum für Translationswissenschaft eine sehr kleine Minderheit. Im Nachhinein allerdings auffällig, dass unter den Dozent*innen der Männeranteil wiederum deutlich höher war. Selbst mit meinem mittlerweile sicher im Vergleich zu damals geschärften Bewusstsein fällt mir aber auch im Nachhinein keine Situation ein, in der eine Mitstudentin oder ich Diskriminierung aufgrund unseres Frau-Seins erlebt hätten. Für mich war das Studium definitiv die richtige Wahl und ich arbeite auch heute noch leidenschaftlich gerne als Übersetzerin und Dolmetscherin – und ich bin dankbar, dass das Studieren für mich als Frau in den frühen 2000ern tatsächlich ein Spaziergang sein konnte!

#13

Verfolgt man die direkte Linie meiner Vorfahr*innen zurück, so bin ich die erste Frau in meiner Familie, die einen Studienabschluss erreicht, wenn auch nicht die erste, die sich an einem Studium versucht. Als ich beschlossen habe, ein selbstständiges Leben zu führen und zu studieren, war das der direkte Weg in 10 Jahre Prekariat. 10 Jahre Stress und psychische Belastung. 10 Jahre Angst die Miete nicht bezahlen zu können, die Krankenversicherung zu verlieren, den Job zu verlieren und nicht einmal Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben - außer bei Abbruch des Studiums. Als mir die Luft ausgegangen ist, ließ ich mich 2 Jahre beurlauben und rutschte in einen schlecht bezahlten Vollzeitjob. Dies gab mir zumindest die Möglichkeit, mein Studium als zweiten Bildungsweg zu verkaufen, so auf Bildungskarenz zu gehen und meine Masterarbeit zu schreiben - das Geld des AMS reichte natürlich nicht zum Leben. Diskriminierung habe ich weniger als Frau sondern mehr als arbeitende Studierende erlebt. Rigide Zeitpläne und Regelungen haben das Studium unnötig erschwert und in die Länge gezogen, und oft waren die Plätze in Lehrveranstaltungen rar, sodass arbeitende Studierende leer ausgingen. Das Auslaufen von Studienplänen, Unregelmäßigkeiten bei den folgenden Anrechnungen und die Einführung von Studiengebühren für all jene, die es ohnehin schon schwer haben, waren schier unüberwindliche Steine in meinem Weg. Für jemanden, der ein prekäres Arbeitsverhältnis ohne 13. und 14. Gehalt, Urlaub oder Krankenstand hat, sind 726,72 Euro im Jahr viel Geld. Entscheide ich mich dazu, Kinder zu bekommen, dann weist meine Biographie schon jetzt Richtung Mindestpension. Der Aufschlag meines Kopfes auf der unteren Seite der sozialen Gläsernen Decke war sehr hart, und es wird mich Jahre kosten, mich davon zu erholen. 

#11

Studiert hat in meiner Familie vor mir noch niemand. Vor mir gab es erst einen Matura-Abschluss: mein Vater hatte die Handelsakademie besucht. Ausgerechnet er legt mir Steine in den Weg. Schon früh missbilligte er meinen Wunsch nach höherer Bildung, war doch in seinen Augen die Bestimmung von Mädchen zu heiraten und Kinder zu bekommen. Es bedurfte mühsamer Überzeugungsarbeit verschiedenster Personen - und ich bin nicht sicher, dass die Stimme meiner Mutter Gewicht hatte -, bevor der "väterliche Gewalt" ausübende und somit nach damaligem Familienrecht allein Entscheidungsbefugte zustimmte, mir den Besuch des Gymnasiums zu erlauben.

Nach erfolgreicher Matura stand er einem Studium ablehnend gegenüber, zumal dem von mir gewählten, welches weiterhin keine Möglichkeit bot, den einzig mit Kinderbetreuung kompatiblen Beruf als Lehrerin zu ergreifen. Die Ablehnung fand ihren Niederschlag in einer erratischen Grundfinanzierung des Studiums, sodass ich sehr früh meinen nötigsten Bedarf wie Studentenheim durch verschiedene Gelegenheitsarbeiten deckte und mein Doktorat durch Auslandsstipendium und volle Erwerbstätigkeit bestritt.

Dagegen war mein Studium an der Universität Wien paradiesisch. Der frisch berufene Professor (und es gab in meinem Fach damals nur einen) war feministischen Umtrieben sehr wohlgesonnen, und unsere männlichen Kollegen brachten uns in freundschaftlich-kritischen Auseinandersetzungen auch die Sicht der "Anderen" nahe. Diskriminierende Äußerungen, die es von manchen Personen, mit einer Ausnahme von außerhalb des Instituts, natürlich auch zeitweise gab, trafen auf weitgehend einhellige Ablehnung. Die Aufbruchstimmung des UOG ’75 war ebenso spürbar wie die darauf beruhende Zuversicht, einer gender-egalitäreren und weniger hierarchischen Universitäts-Zukunft entgegenzugehen. Ersteres hat sich, wenigstens an meiner Fakultät, in den Jahrzehnten seither erfüllt, letzteres - österreichweit - leider nicht.

#9

Ich war in unserer Familie die Erste, die Matura machte und studierte. Meiner Mutter wurde es nicht ermöglicht, ihren Traumberuf Lehrerin zu erlernen – in den Augen meiner Großeltern war der Pflichtschulabschluss ausreichend. Der Bildungsweg meines Vaters endete auch mit der Pflichtschule. Dennoch war Bildung für meine Eltern immer ein sehr hoher Wert. Meine Eltern machten keinen Unterschied zwischen mir und meinen Brüdern, was das Ermöglichen von (Aus)Bildung betrifft. Es galt: wir unterstützen dich, solange du dich genügend anstrengst. Wobei im Vergleich zu heute ein Ausprobieren von verschiedenen Studienzweigen als legitimer Teil des Bildungsweges galt. Dieser Paradigmenwechsel in der Haltung meiner Eltern im Vergleich zur Generation meiner Großeltern beeindruckt mich bis heute. Nach mir studierten noch zwei meiner Cousinen. Ansonsten hatte ich in der Verwandtschaft öfter das Gefühl beweisen zu müssen, dass ich nicht auf der faulen Haut liege, während meine Cousinen und Cousins erwerbstätig waren. Für mich war die Möglichkeit zu studieren und nach Wien zu ziehen zwar aufregend und ein freudvolles Abenteuer – gleichzeitig empfand ich es damals als ganz normal: die meisten meiner Freund*innen taten denselben Schritt, es war in meiner Peergroup nichts Außergewöhnliches. Erst während des Studiums bemerkte ich in verschiedenen Situationen einen Unterschied zwischen uns first generation students und Kommiliton*innen, die bereits familiäre/private Netzwerke hatten, die in die Uni hineinreichten. Wir mussten diese Netzwerke erst aufbauen. Als ich mich für ein Doktoratsstudium entschloss, sagte einmal ein Cousin in scherzendem Ton zu mir, wenn ich das einzige Familienmitglied mit Doktortitel wäre, würde er auch noch ein Doktorat machen müssen, damit er wieder gleichauf mit mir wäre. Für mich war das kein Scherz, eher ein Beispiel aus dem familiären Mikrokosmos für gläserne Decken und die Frage, wer den Platz darüber für sich beansprucht bzw. bereit ist, ihn zu teilen.

#7

In meiner Familie bin ich, 1953 geboren, die erste Universitätsbesucherin. Meine Mutter war Schneidermeisterin. Ihre Mutter kam aus dem bäuerlichen Bereich und wurde in Wien Hausfrau. Die andere Großmutter musste mit 14 Jahren aus der Schule austreten und Geld verdienen, obwohl sie gern weitergelernt hätte. Sie kam zu verschiedenen Herrschaften in den "Dienst". In ihrer Ehe verdiente sie durch Stricken dazu.
Ich hätte nach der Matura gern die Universität besucht, war nicht selbstbewusst genug, das in der Familie durchzusetzen. Meine Eltern hatten viel für Bildung übrig, wollten für mich aber etwas Sicheres. Ich absolvierte ab 1971 die Pädagogische Akademie des Bundes in Wien und wurde Lehrerin.
Mein 2 Jahre älterer Bruder studierte Maschinenbau und war der erste studierende Mann in der Familie. Ich begann etwas später neben dem Beruf Psychologie zu studieren, schloss das Studium jedoch nicht ab. Es war neben dem Unterrichten sehr anstrengend und entsprach inhaltlich nicht ganz meinen Vorstellungen.
Mit 50 versuchte ich es mit einer Ringvorlesung für Frauen an der Uni: Genderstudies. Frauenschicksale haben mich immer sehr interessiert. Die sehr abgehobene Sprache, die dort verwendet wurde, schreckte mich ab, das Studium weiterzuführen. Ich fand andere für mich passende Weiterbildungsmöglichkeiten.
Ich habe keine Kinder. Mein Bruder hat 2 Söhne und einen männlichen Enkel. Ob es noch eine weitere studierende Frau in unserer Familie geben wird?

#5

Ich selbst bin wohl – ohne je Ahn*innenforschung betrieben zu haben – die erste Frau meiner Familie, die studierte. Von 2008 bis 2020 absolvierte ich, mit einer Unterbrechung, mein BA-, MA- und Doktoratsstudium.

Meine Eltern und jüngere Schwester macht(e) das unglaublich stolz! Insbesondere Papa – der sehr gern studiert hätte, es aber nicht konnte – war begeisterter Korrekturleser meiner wissenschaftlichen Arbeiten und ließ es sich nicht nehmen, tausende Zeitungsartikel mit mir und unter meiner Anleitung zu kodieren. In der bäuerlichen Großfamilie meines Vaters allerdings wurde ich nicht nur einmal als „Gschudierte“ abgewertet – im Salzburger Land hält sich das Vorurteil, dass Studierende faul sind. In der eher bürgerlichen Familie meiner Mutter hingegen gelte ich als „die Gescheite“. Ich genieße hier noch immer einen Sonderstatus, der mit einer – mitunter übertriebenen – Bewunderung für Studienleistungen einhergeht.

Studieren war für mich DIE Selbstfindung, -bestimmung und -ermächtigung per se. Für diese Erfahrungen bin ich unsagbar dankbar! Weniges im Leben versetzt(e) mich in jene Euphorie, die ich beim Studieren empfand: Ich absolvierte auch nach meinem Abschluss noch acht Lehrveranstaltungen, aus reinem Vergnügen.

Mit geschlechterbasierter Diskriminierung im Studienkontext wurde ich nie (bewusst) konfrontiert, auch nicht als außenstehende Beobachterin. Im Gegenteil: In meinen – kritisch-sozialwissenschaftlichen – Studien wurden Frauen gezielt gefördert und tendenziell bevorzugt.

Umstände, die das Studieren schwieriger machten, erlebte ich anfangs im überlaufenen BA und später im Doktorat: Studierende ohne universitäre Anstellung wurden quasi in die Isolation verbannt und es gab für sie im Grunde keine Vernetzungsmöglichkeiten. Schwierig gestaltete sich somit auch die Arbeitssuche danach: Es bedurfte eineinhalb Jahren an Absagen, bis ich jene Stelle an der Universität Wien fand, die die wunderbaren Gefühle meiner Studentinnenzeit in mein Leben zurückbrachte… 

#2

In meiner Familie bin ich die Erste, die zum Studieren an die Universität gegangen ist - nicht nur die erste Frau. Das war in den 90ern. Meine Eltern haben mir keine Steine in den Weg gelegt, weil ich (in ihren Augen) als Frau nicht für die Übernahme des Betriebs zuhause in Frage kam. So gesehen hatte ich einen Vorteil gegenüber meinem Bruder. Für mich war es eine unglaublich neue, aufregende und zu Beginn auch ehrfurchteinflößende Welt, nicht nur die Uni, sondern auch Wien als Großstadt. Es hat sich aber auch ein bisschen wie nach Hause kommen angefühlt. Im Laufe der Jahre hat sich diese Ehrfurcht gelegt und ich sehe den Wissenschaftsbetrieb heute auch sehr kritisch. Trotzdem bin ich auch beruflich an der Universität Wien geblieben. 

#1

Die erste Frau, die in meiner Familie fertig studiert hat, war meine Tante. Das war in den 80ern oder Anfang der 90er. Sie hat dann gleich Nägeln mit Köpfen gemacht und ist inzwischen Rektorin an einer deutschen Universität. Sie hat ihre eigene Mutter, meine Großmutter, aber nur knapp überholt. Meine Großmutter hat sich nämlich in der Pension entschlossen, doch noch zu studieren und sogar noch ein Doktorat abgeschlossen. Auch meine Mutter und meine andere Tante haben noch etwas später im Leben ihren Abschluss nachgeholt.

In der Familie meines Vaters war er selbst der Erste, der studiert hat. Damit hat er sich aber auch vom Rest der (Arbeiter-)Familie etwas distanziert. In der nachfolgenden Generation gibt es ein paar mehr Universitätsabschlüsse, aber selbstverständlich ist es in diesem Teil meiner Familie (noch) nicht.